Die Ruhetage bei Anne
sind wieder herrlich. Aus 2 werden 3 und dann sogar 4. Es ist ein
Gedicht die Freude der Schüler zu sehen, wenn plötzlich
noch die Möglichkeit zu einem Ruhetag auftaucht. Das Wandern
begeistert natürlich nicht mehr, ein Grund, warum wir 3 Monate
unterwegs sind. Außerdem haben wir schon 4 Ruhetage innerhalb
von 8 Tagen gemacht, dann werden es 6 innerhalb von 10 und da fällt
es schwer, wieder wandern zu gehen; erst recht, wenn es oft regnet.
Für die zweite Ruhephase bei Anne haben wir beschlossen, keine
Filme mehr auszuleihen. Dadurch haben wir viel Zeit für lesen,
Briefe schreiben, Fußball spielen und natürlich Canasta
mit Anne. Besonders die Mädchen spielen oft und bereiten Anne
damit eine große Freude. Abends kommen Peter und Kiki zum
Essen, morgens wird nach Herzenslust geschlafen.
Am 3. Ruhetag kümmern wir uns auch um die Schlafsäcke.
Die Geruchsintensität hat teils einen unangenehmen Grad erreicht
und wir haben uns spezielles Waschmittel mit der Post vorgeschickt.
Bazi und Konsti merken dann, dass sie ihre Schlafsäcke nicht
wasserdicht gepackt hatten! Den ganzen Tag lang laufen Waschmaschine
und Trockner. Dann wird es wirklich Zeit aufzubrechen. Anne hätte
uns gerne noch länger adoptiert, wir hätten nichts dagegen
gehabt, aber wir sind ja auch noch zum Wandern hier. Ich habe inzwischen
beschlossen, dass wir uns deutlicher an einer 5.000km Radtour orientieren.
600 Meilen auf dem AT sind dafür immer noch mehr als genug,
weil wir noch 10% abseits des Trails gehen - Shelter, einkaufen,
Unterkunft usw.. Also haben wir auch gleich 40 Meilen übersprungen.
31 davon hatten keinen Shelter und bei diesem kühlen, verregneten
Herbst macht das wild zelten dann doch nicht so viel Freude. Anne
und Kiki fahren uns zum Trail!
Morgens schüttet es noch, dann wird es freundlicher und wir
überqueren den Hudson. Abends gibt es mal wieder eine Unterkunft
in einer Garage. Dafür sind wir immer offen und dankbar, weil
es trockener ist und wer packt schon morgens gerne sein tau- oder
regennasses Zelt ein? Am nächsten Tag wandern wir südlich
von West Point, der bekannten Offiziersschmiede und hören stundenlang
Schiessübungen im Hintergrund. Egal, der Shelter liegt wieder
klasse, dank des Regens der Vortage gibt es auch Wasser. Weiter
geht es nach Monroe, wobei wir die letzten Meilen zum Einkaufen
trampen müssen. Unsere Unterkunft besteht aus einer Garage
bei einer sehr alten Dame, die 1928 aus Deutschland gekommen ist.
Es ist schon witzig, denn sie vermischt die beiden Sprachen sehr
anschaulich. Als die Mädchen fragen, ob sie die Toilette benutzen
dürfen, lächele sie schelmisch, schüttelt den Kopf
und meint:. "Nein, das geht natürlich nicht. Ihr seid
so viele
..und wer weiß, was ihr da machen würdet
..benutzt
lieber den Garten, der ist groß genug!"
Ich renne dann noch zur Bibliothek, weil ich dringend Infos einholen
muss. Es klappt so eben, 2 Minuten nach Schließungszeit habe
ich ein paar Karten kopiert. Draußen begegnet mir ein Polizist,
der mich bald darauf zu sich ruft. Er will meinen Ausweis sehen,
denn die besorgte Tochter der alten Dame hat bei der Polizei angerufen.
Joe hat schon die Mädchen kontrolliert - die Jungs sind gerade
beim Walmart, um Kochbenzin einzukaufen. Was soll's, so kann ich
ihn wenigstens um eine Mitfahrgelegenheit anhauen. Morgens geht's
gleich so weiter, der Enkel schaut nach dem Rechten und will wissen,
wann wir denn aufbrechen! Am Supermarkt werden wir dann auf merkwürdige
Art und Weise angesprochen, mit Ausnahme einer sehr netten Frau.
Diesmal kehren wir ohne Bedauern zum Trail zurück, müssen
allerdings wieder trampen. Die nette Frau vom Supermarkt, Bethany,
packt dann gleich 4 von uns in ihren Wagen, während bei uns
eine unfreundliche Polizistin anhält und erklärt, dass
man im Bundesstaat New York nicht trampen darf! Nicht, dass wir
das noch nicht gehört haben, aber wie sollen wir denn sonst
zum Supermarkt kommen. Bethany kommt zu Hilfe, wir sollen kurz warten,
sie bringt uns zum Trail, sobald sie die anderen dort abgesetzt
hat
.
Von dort wandern wir den AT Richtung Norden, gerade den Weg zurück,
den wir am Vortag gekommen sind. Denn 3 Meilen weiter gibt es ein
Schild vom "Long Path", der an der George Washington Bridge
gegenüber von Manhattan beginnt und sich 400 km nach Norden
windet. Mit Infos aus dem Internet und den Kartenkopien ausgerüstet
haben wir entschieden, die 51 Meilen bis zur Brücke zu wandern.
Schließlich wollen alle Schüler nach New York City und
wir haben keinen Übernachtungsplatz finden können. Die
Idee ist, dass es viel besser klappen kann, wenn wir hinwandern
und Leute ansprechen können. Einen Shelter gibt es auch noch,
gleich am ersten Abend, mit einem Blick auf die noch weit entfernte
Skyline von Manhattan.
David erzielt den Lacherfolg des Tages. Bei Walmart hat er sich
inzwischen mit weiteren Boxershorts und T-Shirts versorgt, trägt
aber weiterhin seinen Teil der Lebensmittel bzw. auch mal deutlich
mehr. Während einer Pause entdeckt er in den Tiefen seines
Rucksack eine Literflasche Wasser. Das Wasser riecht schon "wie
abgestandenes Blumenwasser" - und ist schätzungsweise
mindestens 10 bis 14 Tage unbemerkt durch die Gegend getragen worden!
Am nächsten Morgen mache ich mir wie üblich meinen Kaffee,
während alle anderen noch schlafen oder den Tag entspannt im
Schlafsack liegend beginnen. Kaffee-, Milchpulver und Zucker, fertig
ist die schwarze Medizin. Denke ich, habe aber leider Salz statt
Zucker eingerührt. Die Schüler erfreuen sich der Morgenshow,
ich setze neues Wasser auf. Es fängt gerade an zu köcheln,
da trifft mein Fuß auf das Kochgeschirr und ich darf ein drittes
Mal beginnen
..
Der Long Path selbst hat heftige Stellen, ist aber insgesamt etwas
leichter zu gehen als der AT. Dazu kommen grandiose Aussichten auf
den Hudson und NYC. Abends findet sich wieder ein Garten bei einem
Ehepaar, sie Schottin und er Italiener. Die Mädchen dürfen
auch drinnen in Betten schlafen, falls es ihnen draußen zu
ungemütlich ist - ist es natürlich. Und die Mädchen
wird die Dusche gezeigt! Die Jungs und ich sind begeistert. Drinnen
ist so viel Platz, da könnten wir locker auf dem Fußboden
schlafen
.immerhin, wir dürfen auch duschen und etwas
fernsehen. Die Playoffs im Baseball haben gerade angefangen und
ich kann mein Glück kaum glauben. Brauche ich auch nicht, denn
Michele erklärt AG - von Italiener zu Italienerin, dass die
Jungs ab 21 Uhr 30 nicht mehr gucken dürfen, weil das zu laut
ist. Die Mädchen machen es sich dann vor dem Fernseher gemütlich
..
Um 4 Uhr kann ich dann nicht mehr schlafen, um 4 Uhr 30 gehe ich
rein - es ist eine abgetrennte kleine Wohnung, vom in Florida studierenden
Sohn - und bereite mir meinen Kaffe zu. Die Zuckerdose steht auf
dem Tisch, also kann ich genüsslich den Löffel ablecken
und den ersten Teil der fertigen Mischung in eine Tasse füllen.
Dene ich, aber es schmeckt schon wieder salzig! Anschließend
halte ich noch ein Nickerchen auf dem Sofa, um 9 Uhr 30 geht es
weiter nach Nyack. Dort finden Konsti und Barzi eine Unterkunft
bei Mike und Judy sowie ihrem Sohn Shane. Das ist ein Volltreffer
- ausgleichende Gerechtigkeit für die letzten beiden Nächte.
Mike ist Yankeefan, es gibt 2 große Fernseher, ich kann in
Ruhe ein Spiel sehen. Die Jungs sind mit Shane zum Footballspiel
seiner Schule, die Mädchen sehen sich auf DVD an, wie der Film
"Der Herr der Ringe" gemacht wurde. Alle können drinnen
schlafen und morgens versorgt uns Mike mit Pfannkuchen. Keine Frage,
bei so lieben Gastebern und guter Unterhaltung sagt man nicht gerne
nach einer Nacht adieu. Und auch keine Frage, wir können ruhig
slackpacken - nur Tagesgepäck - und anschließend zurücktrampen,
um eine weitere Nacht in heimeliger Umgebung zu verbringen!
Um 10 Uhr wandern wir los, 10 Meilen, trampen und 4 Stunden später
sind wir schon wieder da. Ein Tag mit 3 Baseballspielen! Shane fährt
mit den Schüler zu einem riesigen Einkaufszentrum, abends zu
einem Fußballspiel der Schule und noch in die Stadt, andere
Jugendliche treffen. Konsti lässt sich noch 3 CDs von Shane
brennen, morgens sind alle etwas müde, weil es schon die zweite
Nacht ohne die normalen 8 bis 10 Stunden Schlaf war. Dafür
ist das Frühstück mit Mike und Judy sehr gemütlich,
politisch sind wir einer Meinung, eine Runde Sache - und Mike bringt
uns dann noch zum Ausgangspunkt unserer Wanderung zur G. W. Bridge.
Unterwegs geht es einigermaßen zügig voran, aber eigentlich
ist es schon viel zu spät, denn unsere Gastgeberin für
die Tage in NYC erwartet uns am frühen Abend! Kaum zu glauben,
aber wahr, wir haben Susan beim Wandern getroffen, teils auf englisch,
teils auf (schweizer)deutsch unterhalten und sind von ihr eingeladen
worden. Großer Garten, großes Haus, 30 Busminuten von
Manhattan entfernt. Am Ende einer Pause kommen die Mädchen
dann auf die Idee, untereinander die Rucksäcke zu testen. Ich
kann es kaum glauben, die Pause ist mit 30 Minuten sehr lang gewesen
- lesend verbracht, den Sophie ist bereits beim 3. Teil von Harry
Potter, Phine beim 2., AG liest den 1. Teil vom Herrn der Ringe
und Franzi den ihr unbekannten 3. - egal, in aller Ruhe werden die
Rucksäcke aufgesetzt und verglichen: "Der ist aber schwer!"
- "Wow, der liegt ja gar nicht am ganzen Rücken an."
- "Kann ich mal grad ein bisschen rumgehen, dann habe ich ein
besseres Gefühl für deinen Rucksack."
Um 17 Uhr 30 sind dann alle an der Brücke, 30 Minuten später
in New York City. Die erste U-Bahnhaltestelle eine Baustelle, die
nächste 10 Strassen entfernt. Susans Telefonnummer klappt aus
unbekannten Gründen nicht, aber von der Port Authority fahren
wir trotzdem nach Montclair, denn wir haben auch die Adresse. Als
Ortsgespräch funktioniert die Nummer doch, Susan ist sehr erfreut
und erleichtert, denn sie hat schon ein großes Abendessen
für uns zubereitet. Wir sind natürlich auch sehr erfreut,
Truthahn und Erdäpfelstock (Kartoffelpüree)! Dazu ein
Plausch auf deutsch und Betten/Matratzen für 6 von uns
..morgens
fährt Susan dann ausnahmsweise mit dem Wagen rein, wir alle
um 8 Uhr 30 dabei. Sie zeit uns ihr Warenlager- Musikdosen aus der
Schweiz - und wir kümmern uns um den unteren Teil von Manhattan.
Die Schüler sehen sich praktisch das Villeage, Soho, Chinatown,
Ground Zero und die Staten Island Fähre (genialer Blick auf
die Skyline und die Freiheitsstatue - für 50 Cent) an. Anschließend
fahren wir wieder mit Susan raus und Barzi und ich gönnen uns
noch 1, 2 Stunden im genialer Whirlpool vom getrennt lebenden Vater
der drei Töchter.
Heute "morgen" steht dann kaum jemand vor 12 Uhr auf,
aber um 13 Uhr sind schon wieder alle unterwegs, es gibt noch zu
viel zu erkunden. Ich selbst habe im Laufe der letzten 15 Jahre
über 2 Monate in NYC verbracht, so dass ich lieber hier bleibe,
den Bericht schreibe und Susan heute Abend als danke schön
zum Essen einlade. Morgen wird Mike vorbeikommen, Barzis Wanderstöcke
"vorbeibringen" und uns wieder mit nach Nyack mitnehmen.
Von dort ist es nicht mehr weit nach Monroe und zum AT. Die Unterkunft
wird wunderbar werden, denn Bethany hat uns eingeladen und wir haben
uns gestern telefonisch angemeldet.
Ja, ja, das Leben ist hart. Aber es hat durchaus seine Momente
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